Lesepredigt Himmelfahrt

13.05.2021
Predigt zu Eph 1,15-23
Pfr. Dr. Roland Liebenberg


Die mächtige Stärke Gottes


Lobpreis der göttlichen Kraft

Der Predigttext für den diesjährigen Himmelfahrtstag steht im ersten Kapitel des Epheserbriefes. Dort schreibt ein Schüler des Apostels Paulus:

Nachdem ich gehört habe von dem Glauben bei euch an den Herrn Jesus und von eurer Liebe zu allen Heiligen, höre ich nicht auf, zu danken für euch, und gedenke euer in meinem Gebet, dass der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, euch gebe den Geist der Weisheit und Offenbarung, ihn zu erkennen.
Und er gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr berufen seid, wie reich die Herrlichkeit seines Erbes für die Heiligen ist und wie überschwäng-lich groß seine Kraft an uns ist, die wir glauben durch die Wirkung seiner mächtigen Stärke. Mit ihr hat er an Christus gewirkt: Gott hat Christus von den Toten auferweckt und eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel über alle Reiche, Gewalt, Macht, Herrschaft und jeden Namen, der angerufen wird, nicht allein in dieser Welt, sondern auch in der zukünftigen.

Und alles hat er unter seine Füße getan und hat ihn gesetzt der Gemeinde zum Haupt über alles, welche sein Leib ist, nämlich die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt.


Vatertag

Gestern habe ich meine Schüler und Schülerinnen in der Grundschule gefragt, was für ein Feiertag heute ist. Die Hände schnellten in die Höhe und die Antwort war: Vatertag! Mit dem Himmelfahrtstag verbinden sie zuallererst den Vatertag.

Ich versuchte ihnen den Himmelfahrtstag zu erklären, der 40 Tage nach Ostern von der Christenheit gefeiert wird. Ich sagte ihnen, dass es an diesem Tag um die Verbindung von Himmel und Erde geht. Da meldete sich eine Schülerin und sprach: „Aber dann ist doch morgen Vatertag. Es ist der Tag, an dem wir an unseren Vater im Himmel denken.“ Ich war verblüfft. Bisher war es mein Anliegen als Lehrer, den Schülerinnen und Schülern klar zu machen, dass heute eben nicht Vatertag ist. Doch da hatte ich mich geirrt.

Heute ist tatsächlich Vatertag. Heute denken wir an unseren Vater im Himmel. Wir denken an einen Vater, der seinen Sohn zu sich geholt hat.

Mit wem wir es zu tun haben

Darum geht es auch im zweiten Teil unseres Predigttextes. Gott hat seinen Sohn Jesus Christus von den Toten auferweckt und zu sich geholt. Nun sitzt er zu seiner Rechten im Himmel, heißt es im Epheserbrief.

Für den Briefschreiber hat sich damit alles geändert. Der erniedrigte und am Kreuz zu Tode gefolterte Jesus ist nun der Pantokrator, der Weltenherrscher. Gott hat seinem auferweckten und erhöhten Sohn Jesus Christus alle Reiche, Gewalten und Mächte, sogar das Unbekannte und Namenlose unterworfen.

Christus als Weltenherrscher – lange Zeit war das eine sehr populäre Vorstellung. Viele Bilder in unseren Kirchen oder in den Museen legen davon Zeugnis ab. In unseren Tagen ist diese Vorstellung in den Hintergrund geraten. Wir haben Jesus und unseren Vater im Himmel weichgezeichnet. Wir reden lieber von unserem lieben Bruder Jesus und von unserem lieben Vater im Himmel. Dabei vergessen wir oft, dass wir es mit dem allmächtigen Gott zu tun haben. Mit der Macht, der alle anderen Gewalten und Mächte unterworfen sind.

Die mächtige Stärke

Anscheinend war das den christlichen Gemeinden Ende des 1. Jahrhunderts angesichts der Bedrohung durch die römische Staatsmacht ebenfalls nicht mehr so bewusst. Deshalb erinnerte sie der Schreiber des Epheserbriefes daran, mit welcher Hoffnung sie berufen sind. Wie reich die Herrlichkeit ihres Erbes im Reich Gottes sein wird. Wie überschwänglich groß ihre Kraft als Glaubende ist. Denn in ihnen wirkt nicht irgendeine Kraft. In ihnen wirkt die mächtige Stärke Gottes.

Diese mächtige Stärke Gottes gilt es auch für uns wieder zu erfahren. Die Power-Kraft, die Geist-Energie des Allmächtigen reißt uns nämlich heraus aus unserer Bequemlichkeit und Selbstlähmung. Sie treibt uns unsere Ängste und Sorgen aus und bewegt uns zu einem mutigen und kraftvollen Leben.

Verlust der Lebensfreude

Wie kommt Gottes mächtige Stärke in uns zum Zug? Wie kann ein Leben mit der Power-Kraft, der Geist-Energie des Allmächtigen aussehen?
Viel spüre ich von dieser Kraft in diesen Tagen nicht. Vielmehr verhält es sich so, dass wir mit unserer Kraft so ziemlich am Ende sind. Viele von uns, auch und besonders Kinder und Jugendliche sind psychisch angeschlagen.

„Die Lebensqualität und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen hat sich in Deutschland im Verlauf der Coronapandemie weiter verschlechtert. Fast jedes dritte Kind leidet unter psychischen Auffälligkeiten. Die Sorgen und Ängste haben noch einmal zugenommen. Depressive Symptome und psychosomatische Beschwerden sind verstärkt zu beobachten.“ Dieses Fazit zog im Februar ein Forscherteam des Universitäts-Klinikums Hamburg-Eppendorf. Ihre Längsschnittstudie zeigt: Wieder sind vor allem Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Verhältnissen oder mit Migrationshintergrund betroffen. Wo sich die familiären Verhältnisse stabil und positiv für Kinder und Jugendliche erweisen, sind depressive Symptome und psychosomatische Beschwerden weitaus geringer anzutreffen.

Dennoch sind auch jene ausgelaugt, denen es besser geht. Die sozialen Kontakte sind nun schon derart lange eingeschränkt, dass es auch in uns immer düsterer wird. Die Coronapandemie raubt uns mehr und mehr die Lebensfreude. Und wir fragen uns: Wo ist da Gott mit seiner Kraft und Stärke? Und wie können wir erkennen, dass Gott mit seiner Power-Kraft und Geist-Energie am Werk ist?

Es liegt an Gott allein

Zunächst einmal sollten wir uns eingestehen: Es liegt nicht in unserer Hand. Gott allein entscheidet, wen er mit seiner mächtigen Stärke erfüllt. Ebenso liegt es an Gott zu entscheiden, wessen Augen erleuchtet werden, um sein mächtiges Wirken zu erkennen.

Der Schreiber des Epheserbriefes gibt uns kein Rezept in die Hand. Er kann Gott nur danken, für den von Gottes Geist gewirkten Glauben in der Gemeinde. Er kann Gott im Gebet nur bitten um den Geist der Weisheit und Offenbarung. Ansonsten liegt es an Gott allein, unser Leben mit seiner Macht und Stärke wieder zu erhellen.

Harald und Yacouba

Dass Gott mit seiner Power-Kraft und Geist-Energie tatsächlich am Werk ist, will ich an Harald Huber und Yacouba Sawadogo verdeutlichen. Gott hat meine Augen erleuchtet, als ich von den beiden hörte und las.

Auf Harald Huber stieß ich Anfang des Jahres im Rundbrief des Baden-Württembergischen Flüchtlingsrats. Harald engagierte sich nach seinem Ruhestand ehrenamtlich über 20 Jahre lang für geflüchtete Menschen. Die Basis seines Engagements war sein Glaube an Gott. Sein Glaube an einen Gott, der mit allen Menschen sein Reich bauen will.

Oft ist Harald an seiner Hilfe für geflüchtete Menschen verzweifelt. Etwa als eine Familie aus dem Kosovo abgeschoben wurde. Der jüngsten Tochter hatte er versprochen, alles zu tun, dass sie hier in der Schule bleiben darf. Doch alles, was er tat, war nicht genug. Harald konnte nur noch weinen.

Im Februar, kurz vor seinem 89. Geburtstag, starb Harald Huber. Bei seiner Beerdigung wurde sein Sarg von sechs Männern getragen. Jeder von ihnen gehörte einer anderen Glaubens-richtung an. Sie waren auch aus unterschiedlichen Ländern nach Deutschland eingewandert. Ebenso verhielt es sich mit der Trauergemeinde. Eine bunte Menschenmenge war zu Haralds Beerdigung gekommen. Harald hatte sie zusammengebracht, eine Menschenfamilie in ihrer ganzen Vielfalt. Eine Gemeinschaft, die versammelt an seinem Sarg, Kraft, Zuversicht und Hoffnung ausstrahlte; in der Gottes Geist-Energie am Werk war.

Von Yacouba Sawadogo erfuhr ich von dem Journalisten Ulrich Schnabel. Yacouba lebte in der westafrikanischen Sahelzone, dort, wo die Erde rissig ist und die Ernte oft vertrocknet. In den 1960er- und 70er- Jahren wollten Entwicklungshelfer die Dürre der Sahelzone mit modernen Maschinen, Dünger und Pestiziden besiegen. Sie scheiterten kläglich.

In den 80er-Jahren kam es zu einer erneuten Hungersnot. Sie trieb unzählige Flüchtlinge in die Städte. Yacouba arbeitete in dieser finsteren Zeit als Haushaltswarenhändler. Als das Elend immer mehr zunahm, fasste er einen Plan. Er beschloss, ein Zeichen der Hoffnung zu setzen. Er verkaufte seine Habe und kehrte in sein Dorf zurück.

Dort nahm der den Kampf gegen die Wüste auf. Mit nichts anderem als einer Hacke, Samen und tiefem Gottvertrauen. Yacouba wendete die traditionelle Ackerbaumethode an. In den trockenen Boden grub er ungefähr 20 cm tiefe Löcher. Den Samen im Loch umhüllte er mit Blättern, Viehdung und Asche. Zusätzlich packte er eine dicke Schicht weicher Erde darauf. Um das Loch legte er eine Reihe Steine, um den wertvollen Regen aufzuhalten.

Schon Yacoubas erste Ernte fiel gut aus. In den folgenden Jahrzehnten kultivierte Yacouba ein Stück Land nach dem anderen. Seine Arbeit ließ die Wüste ergrünen. Es wuchsen auch wieder Bäume. Die sorgten dafür, dass der Grundwasserspiegel wieder stieg. Und mit der Zeit kehrten die Menschen in das Dorf zurück. Hunderte Hektar Wüste hatten sich in grünes Ackerland verwandelt.

Das ist kein Märchen. Die Geschichte ist wahr. Yacouba Sawadoga wurde zum „Mann, der die Wüste aufhielt“. Ein Dokumentarfilm wurde über ihn gedreht. Zeitungen berichteten von ihm. Ich erinnere heute an Yacouba, weil er nie einen Zweifel daran ließ, dass Gott ihn zu seinem Zeichen der Hoffnung gedrängt hatte. Gottes Geist-Energie hatte Yacouba erfüllt. Mit ihr hatte er genug Kraft, um die Wüste ergrünen zu lassen.

Mit den Worten des Epheserbriefs bitte ich Gott, die Augen auch unserer Herzen zu erleuchten, damit wir erkennen, zu welcher Hoffnung wir berufen sind, wie reich die Herrlichkeit seines Erbes für uns und wie überschwänglich groß seine Kraft an uns ist, die wir glauben durch die Wirkung seiner mächtigen Stärke.