Lesepredigt 1. Advent

1. Advent 29.11.2020
Predigt zu Sacharja 9,9-10
Dr. Roland Liebenberg

Unser armer König


Der Heroldsruf des Propheten


Der Predigttext für den heutigen Sonntag ist dem Buch des Propheten Sacharja entnommen. Dort wird im 9. Kapitel verkündet:
Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin.
Denn ich will die Wagen vernichten in Ephraim und die Rosse in Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern. Und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde.


Ein anderer Advent

In diesem Jahr ist alles anders, liebe Gemeinde. Auch die Adventszeit. Kein Weihnachtsmarkt, kein Laternenumzug, keine Adventsfeier findet statt. Alles wegen Corona abgesagt. Auch mich haben die vielen Absagen anfangs frustriert. Ich gehe mit meiner Frau seit vielen Jahren mindestens einmal zum Christkindlesmarkt nach Nürnberg. Das gehört für uns einfach zur Adventszeit dazu, auch wenn es in den letzten Jahren immer schwieriger wurde, den Abend in Nürnberg angesichts der vielen anderen Termine frei zu halten.
Dieses Jahr ist alles anders. Und inzwischen hat sich bei mir der Frust gelegt. Denn mir ist klar geworden, dass die vielen Absagen eine Chance für den Advent sind. Wahrscheinlich ist es seine letzte Chance. Denn der Advent ist zu einer Zeit des Geschäfts verkommen. Wenn er überhaupt noch als eine Zeit der Vorbereitung wahrgenommen wird, dann dafür, passende Geschenke und Lebensmittel einzukaufen, eine möglichst perfekte Weihnachtsfeier vorzubereiten und den Weihnachtsurlaub zu organisieren. Daneben sind noch die Termine für die vielen Adventsfeiern und anderweitige Treffen unter den Hut zu bringen. Wir finden innerlich keine Ruhe mehr. Daran ändert auch der Lichterschmuck in den Straßen und an den Häusern nichts. Selbst das von ihm erhoffte romantische Weihnachtsgefühl stellt sich kaum noch ein.
In diesem Jahr könnte es anders werden. Wir könnten versuchen, inne zu halten, zur Ruhe zu kommen. Wir könnten von biblischen Texten vernehmen, was diese vier Wochen vor Weihnachten so besonders macht. Worum es in der Adventszeit in Wahrheit geht.

Welcher König soll es sein?

Heute bekommen wir darauf aus dem Buch des Propheten Sacharja eine Antwort. Unseren Predigttext datieren die Forscher in eine Zeit des Umbruchs. Alexander der Große und sein Heer waren in der zweiten Hälfte des vierten vorchristlichen Jahrhunderts dabei, die Welt mit ihren Feldzügen zu verändern. Alexander eroberte das persische Großreich. Die altorientalisch-persische Welt ging unter. Das hellenistische Zeitalter begann.
Persien war bis dahin die Schutzmacht für das kleine jüdische Gemeinwesen in und um Jerusalem. Nun war das Großreich untergegangen. Und die Israeliten fragten sich, zu welchem König man halten soll. Unter persischer Herrschaft hatten sie beinahe zwei Jahrhunderte lang ein friedliches Auskommen. Die militärischen Erfolge sprachen aber für den griechischen Eroberer. Wäre es nicht klug, sich ihm zu unterwerfen?

Eine falsche Entscheidung konnte fatale Konsequenzen haben. Wer sich dem am Ende siegreichen Eroberer nicht unterwarf, musste mit drakonischen Strafen rechnen. Wer also ist der König, fragten sich die Israeliten, mit dem wir es halten sollen?

Der andere König

In dieses bange Fragen hinein erschallt der Heroldsruf eines unbekannten Propheten. Er hält eine völlig unerwartete Antwort bereit: „Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und Helfer, arm und reitet auf einem Esel.“ Der, der wirklich euer König ist, teilt der Heroldsruf mit, tritt völlig anders auf als die Gewaltherrscher dieser Welt.

Wie anders dieser König auftritt, wird im hebräischen Originaltext deutlicher als in der Lutherübersetzung. Diese bezeichnet den anderen König als Gerechter und Helfer. Im hebräischen Original heißt es aber Gerechter und „Geretteter“. Das heißt: Der andere König tritt nicht nur für die Armen und Gebeugten ein. Er ist mit ihnen tiefer verbunden. Er hat am eigenen Leib erfahren, was es heißt, auf Rettung angewiesen zu sein. Auch der andere König verdankt seine Rettung einem anderen.
Die Fortsetzung des Heroldsrufes untermauert diese Deutung. „Arm“ sei er, heißt es da. Der andere König solidarisiert sich nicht nur mit den Armen. Er ist einer von ihnen. Der andere König ist ein armer, ja armseliger König. Weder im Kriegswagen wie die Perserkönige, noch auf einem Schlachtross wie Alexander der Große reitet dieser König einher. Sein Reittier ist ein Esel. Für damalige Militärs war das eine absolut lächerliche Vorstellung. Für sie klang das so, wie wenn heute ein General bei einer Militärparade statt im Panzerwagen auf einem Fahrrad führe.

Einübung in den Frieden

Jesus nahm die Vorstellung ernst. Das unterstrich er mit seinem Einzug in Jerusalem. Jesus begriff sich als der angekündigte arme König. Als armer Wanderprediger wandte er sich den Armen, den Randexistenzen zu. Ihnen versprach er ein Leben im Reich Gottes. Ein Leben, das von Gerechtigkeit und Frieden geprägt ist.
Es blieb bei diesem Versprechen. Deshalb warten wir auf das zweite Kommen Jesu. Sein erstes Kommen war deshalb nicht umsonst. Zum ewigen Ärger aller Gewaltherrscher und deren Würdenträger und Speichellecker wurde Jesus zu einer unauslöschlichen Quelle der Hoffnung. Die selbsternannten Herren der Welt mögen ihre Untertanen in Angst und Schrecken versetzen, wie das derzeit der weißrussische Diktator Lukaschenko tut. Ihre Herzen werden sie nie erobern. Die gehören dem armen König. Für uns Christinnen und Christen ist Jesus Christus dieser König. Er ist für uns der wahre Herr, der wiederkommen wird, um sein Versprechen zu erfüllen, um das Reich Gottes zu errichten.

Bis dahin leben wir von der Hoffnung, die Jesus als armer König in unsere Herzen gepflanzt hat. Wir nehmen sie schon jetzt als Maß für unser Miteinander. Wir üben uns ein in den Frieden unseres armen Königs. Wir versuchen, wie Jesus Gewalt zu vermeiden. Auch in unserem Denken und Reden. Wenn Sie das ernsthaft versuchen, werden Sie merken, dass das gar nicht so einfach ist. Wie schnell geht uns ein abfälliger Gedanke über andere Menschen durch den Kopf. Wie schnell rutscht uns ein verletzender Ausdruck über die Lippen.
Die Einübung in den Frieden beinhaltet für mich auch ein bewussteres Kaufverhalten. Ich bevorzuge zum Beispiel fair gehandelte Produkte. Und ich kaufe nur noch Lebensmittel, bei deren Herstellung auf eine artgerechte Tierhaltung geachtet wird. Mit wenig Aufwand kann ich etwas für unsere Mitgeschöpfe tun. Ich bin mir sicher, dass Ihnen noch viele andere Möglichkeiten einfallen, wie Sie sich in den Frieden unseres armen Königs einüben können.
Der Advent als Zeit der Einübung in den Frieden. So lautet für mich heute die Antwort darauf, worum es in der Adventszeit geht. Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Adventszeit!