Lesepredigt 1. Advent

28. November 2021
Jer 24,5-8
Pfr. Dr. Roland Liebenberg


Zeit der Hoffnung


Worum es im Advent geht

„Im Advent haben wir endlich einmal das Recht, unsere Vorstellungen von einer besseren Zukunft öffentlich zu machen. Ohne als Träume abgetan zu werden. Ohne im Verdacht zu stehen, die Realitäten der Gegenwart nicht ernst zu nehmen.“

Dieses Statement zum Advent las ich vor kurzem in einer kirchlichen Zeitschrift. Es hat mich beeindruckt. Denn ich halte es für eine treffende Beschreibung der Adventszeit. In den vier Wochen vor dem Weihnachtsfest geht es um unsere Vorstellungen von einer besseren Zukunft. Wir vernehmen biblische Botschaften von einer Zeit des Heils.

Und das sind keine Träumereien. Denn diese Zukunft stellen nicht wir her. Gott stellt sie her. Gott wird zu den Menschen kommen, um die Gemeinschaft mit seinen Geschöpfen zu erneuern. Und dann wird unter uns Frieden und Gerechtigkeit herrschen.

Jeremias Adventsbotschaft

Darum geht es im Advent, um unsere Vorstellungen von einer besseren Welt. Genährt werden sie von den biblischen Schriften. Denn sie enthalten viele Adventsbotschaften.

Eine findet sich im 23. Kapitel des nach Jesaja benannten Prophetenbuches. Dort verkündet Gott durch seinen Propheten Jeremia folgende Worte an das Volk Israel:

Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird. Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: „Der Herr ist unsere Gerechtigkeit.“

Darum siehe, es wird die Zeit kommen, spricht der Herr, dass man nicht mehr sagen wird: So wahr der Herr lebt, der die Israeliten aus Ägypten geführt hat!, sondern: So wahr der Herr lebt, der die Nachkommen des Hauses Israel heraufgeführt und hergebracht hat aus dem Lande des Nordens und aus allen Landen, wohin er sie verstoßen hatte. Und sie sollen in ihrem Lande wohnen.


Was für eine großartige Vorstellung von der Zukunft: Ein großer König, ein Nachfolger Davids wird endlich dem Recht und der Gerechtigkeit zum Durchbruch verhelfen. Die zerstreut im Ausland lebenden Israeliten werden in ihre Heimat zurückkehren. Dort werden sie friedlich zusammenleben und ein gutes und zufriedenes Leben führen.

Botschafter des Advents

So lautete die Adventsbotschaft Gottes durch seinen Propheten Jeremia. Auch durch Jesaja, Micha oder später Sacharja verkündete Gott Adventsbotschaften.

So stiftete Gott mit seinen Propheten eine bleibende Hoffnung für unsere Welt: Nichts bleibt so, wie es ist. Das Unrecht bleibt nicht. Der Unfriede bleibt nicht. Die Pandemie bleibt nicht. Die Gottlosigkeit bleibt nicht. Gott wird alles gut machen.

Die Adventsbotschaften der Propheten richteten sich zwar an das Volk Israel. Doch die darin enthaltenen Vorstellungen vom zukünftigen Heil sind so umfassend und umstürzend, dass die gesamte Schöpfung auf eine bessere Zukunft hoffen darf.

Für uns Christinnen und Christen wird diese Hoffnung durch unseren Glauben an Jesus Christus bestärkt. Zu Jeremia und den anderen Propheten gesellte sich Jesus mit seiner
Adventsbotschaft vom Reich Gottes. Unser Weg führt in das Reich Gottes. Das ist die Adventsbotschaft unseres Herrn. Eine bessere Zukunft kann man sich nicht vorstellen.

Gott stärkt mit seiner Adventsbotschaft in uns den Glauben an eine bessere Zukunft. Deshalb kann man die Adventszeit auch als eine fröhliche Zeit verstehen. Als eine Zeit, die uns ermutigt und guttut. Die uns die Angst nimmt und unsere Hoffnung stärkt. Die unsere Bedenken und Befürchtungen aushebelt und uns fröhlich und ausgelassen auf Weihnachten zugehen lässt.

Wachsende Hoffnungslosigkeit

Wie sehr wir Gottes Adventsbotschaft benötigen, wird mir in diesem Jahr besonders bewusst. Wieder wird alles abgesagt, obwohl wir inzwischen gut funktionierende Impfstoffe gegen das Corona-Virus haben. Viele unter uns zucken angesichts der Absagen inzwischen nur noch mit den Schultern. Sie haben keine Hoffnung mehr, dass es besser wird, und ziehen sich mehr und mehr zurück in ihre Corona-Höhlen.

Im Sommer wurde in den Medien nach den Lockerungen erstmals über das sogenannte „Höhlen-Syndrom“ berichtet. Einige gingen schnell wieder unter die Menschen und genossen die wiedererlangte Bewegungsfreiheit. Andere jedoch riskierten nur einen zaghaften Blick nach draußen. Sie blieben lieber im Schutz der heimischen Höhle.

Angesichts der nun über uns hereinbrechenden vierten Corona-Welle fühlen sich die Höhlenbewohner bestätigt. Es war doch besser, die Kontakte zu vermeiden. Angesichts der Sorglosigkeit der politisch Verantwortlichen in diesem Wahljahr mögen die Höhlenbewohner ja recht haben. Doch was macht die dauerhafte Distanz zu ihrer Mitwelt mit ihrer, mit unserer Seele? Vielen brach und bricht der Boden unter den Füßen weg. Die Angst beherrscht zunehmend unser Leben.

Die Kraft, die uns hoffen lässt

Je mehr mir der Boden unter den Füßen wegbricht, desto stärker muss die Kraft sein, die mich standhalten lässt und meine Hoffnung stärkt. Daher konnte für den Propheten Jeremia nur ein Nachkomme Davids eine bessere Zukunft garantieren. Gott, verkündete er, will aus dem Geschlecht Davids „einen gerechten Spross erwecken (…). Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird.“

David war schon zu Jeremias Lebzeiten eine legendäre Gestalt aus einer glorreichen Vergangenheit. Das aber war nicht der eigentliche Grund, warum ihn Jeremia als Garanten für eine bessere Zukunft verstand. David war in der Erinnerung der Israeliten ein König, dem Gott trotz seiner Fehler beistand. Dem Gott neue Möglichkeiten und Zukunft eröffnete. An dieser Segensspur soll sein Nachkomme das zerstreute Volk Israel teilhaben lassen.

Deshalb lag auch den Evangelisten Matthäus und Lukas so viel daran, dass Jesus ein Spross aus dem Geschlecht Davids war. Damit geben sie zu verstehen: Gott war und ist mit Jesus auf eine einzigartige Weise verbunden, wie ein Vater mit seinem Sohn. Mit Jesus kam Gott in unsere Welt, um uns eine bessere Zukunft zu eröffnen. Stärker kann die Kraft nicht sein, die mich standhalten lässt und meine Hoffnung stärkt.

Gott stärkt in uns den Glauben an eine bessere Zukunft. Mit dieser Adventsbotschaft steht uns Gott in dieser schwierigen Zeit bei. Deshalb bin ich voller Zuversicht, dass die Menschen ihre Corona-Höhlen wieder verlassen. Dass die Angst überwunden wird. Dass wir wieder beginnen werden, fröhlich und zuversichtlich in unserem Land zu wohnen.

„Advent heißt aufbrechen zur Hoffnung“, schreibt die Theologin Antje Sabine Naegeli, „zu einer Hoffnung, die unser ganzes Sein umfasst und alles nur Vorläufige übersteigt.“

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine gesegnete Advenstzeit!