Lesepredigt 4. Advent

19.12.2021
Predigt zu Lukas 1,26-38
Dr. Roland Liebenberg


Zeit, an andere zu denken


Die Ankündigung des Erzengels

Der Predigttext steht bei Lukas im ersten Kapitel:

Der Engel Gabriel wurde von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die hieß Nazareth, zu einer Jungfrau, die vertraut war mit einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria.

Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das? Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria! Du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und sein Reich wird kein Ende haben.

Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich noch von keinem Manne weiß? Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden.

Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit einem Sohn, in ihrem Alter, und ist jetzt im sechsten Monat. Sie, von der man sagt, dass sie unfruchtbar sei. Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd. Mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr
.

Ein überraschender Gruß

Seit zwei Jahren lebte er nun schon ohne seine Frau. Ihr Tod kam plötzlich. Und es dauerte lange, bis er ins Leben zurückfand. Doch was war das für ein Leben?

Morgens steht er alleine auf. Anfangs fiel ihm das ungemein schwer. Es gab Tage, da blieb er einfach liegen. Doch inzwischen steht er wieder um dieselbe Zeit auf, macht sich seinen Tee, liest die Zeitung. Danach geht er ins Badezimmer. Für den Tag hat er für sich Aufgaben gefunden, die ihn beschäftigen. Manche von ihnen erledigt er auch gerne. Sie verleihen dem Tag einen Rhythmus. Die Zeit vergeht schneller.

Schlimm ist es am Abend. Die Ruhe und das leere Bett machen ihm bewusst, wie einsam er ist. Es zieht ihm den Brustkorb zusammen, wenn er an frühere Zeiten mit seiner Frau und den Kindern denkt. An die Stimmen, das Lachen im Haus.

Bald ist Weihnachten. Ihn graut es. Wie soll er das Fest nur überstehen? Er überlegt sich, es einfach ausfallen zu lassen. Da erhält er ein paar Tage vor dem Fest eine Grußkarte. Sie ist von einem Freund, den er lange Zeit nicht gesehen hat. Der Kontakt riss irgendwann ab. Schade eigentlich, denn sie verstanden sich sehr gut. Als er die Karte liest, muss er lächeln. Denn nach den obligatorischen Wünschen zum Fest, teilt ihm sein Freund mit: „Ich würde mich riesig darüber freuen, wenn wir uns wieder sehen.“

An andere denken

Die Adventszeit ermuntert uns, an andere zu denken. Knapp eine Woche vor dem Weihnachtsfest schreiben wir alle wohl gerade unsere letzten Grußkarten. Oder wir überlegen uns, wen wir noch anrufen möchten, bei wem wir vorbeischauen, wen wir einladen. Sicher, es gibt das ganze Jahr hindurch Anlässe, an andere zu denken. Aber in der Zeit vor Weihnachten fühlen wir uns dazu besonders verpflichtet. Wir denken an Menschen, die uns wichtig sind, die wir liebhaben, die wir gerne sehen und mit denen wir feiern möchten. Es macht uns Freude mit ihnen Zeit zu verbringen.

An andere denken. Auch das prägt die Adventszeit. Die Verkündigungserzählung des Lukas verrät uns, dass es sich bei Gott genauso verhält. Auch Gott denkt an andere.

Gott denkt an seine Schöpfung

Ihren zeitlichen Ort hat die Erzählung eigentlich im März. Neun Monate vor der Geburt des Kindes wurde der Erzengel Gabriel von Gott nach Nazareth gesandt. Der Feiertag „Mariä Verkündigung“ wird in den Kirchen am 25. März begangen. Dass die Erzählung als Evangeliumstext für den 4. Advent verwendet wird, macht aber Sinn. Denn in der Adventszeit denkt Gott und denken wir an andere.

Gott denkt an Israel. Und mit seinem Volk an die gesamte Schöpfung. Einen Thronerben Davids will der Ewige seinem Volk schenken. Einen König, „der groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden“ wird. „Sein Reich“, verkündet Gabriel, „wird kein Ende haben“. Dass die Ankündigung Gabriels wenig zu tun hat mit unserer Vorstellung von einem großen und mächtigen König, zeigen schon die äußeren Umstände der Verkündigung.

Gott sendet seinen Erzengel in ein kleines Dorf, das im Süden der unbedeutenden römischen Provinz Galiläa lag. Die kleine Ortschaft Nazareth wurde später erst als Heimatort von Jesus und seinen Eltern bekannt und berühmt. Genauso verhält es sich mit Maria. Das Dorfmädchen war wohl 12 Jahre alt, als sie sich mit dem aus Bethlehem stammenden Bauhandwerker Josef verlobte. Im Alter von 16 Jahren kam Gabriel zu ihr. Ohne dieses Ereignis hätte wohl niemand Notiz von ihr genommen. Nur die Dorfbewohner ihrer Zeit hätten von ihr gewusst. Nach ihrem Tod wäre Maria schnell in Vergessenheit geraten.

Doch für Gott war diese „unbedeutende Magd“, wie sich Maria später selbst im Magnifikat nennt, genau die Richtige. Sie, und keine berühmte und wohlhabende Königstochter, sollte Gottes Sohn auf die Welt bringen. Mit dieser Wahl stürzte Gott die Machthaber dieser Welt vom Thron und „hob die Unbedeutenden empor“. Mit dieser Wahl machte sich der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Vater Jesu Christi zum ewigen Stachel im Fleisch der Mächtigen und Reichen. Mit seinem Sohn kommt Gott zu den Armen, um sie aus dem Staub der Erniedrigung und Ausgrenzung zu erheben. Um Gerechtigkeit und faire Verhältnisse für alle zu schaffen. So dachte und denkt Gott an seine Geschöpfe.

Ein Gruß der Freude

Gott selbst ermuntert uns, an andere zu denken. Wahrscheinlich steht schon fest, mit wem Sie während der Weihnachtsfeiertage zusammenkommen. Vielleicht aber gibt es noch andere Menschen. Menschen, die ihre Aufmerksamkeit verdienen. Die sie aus den Augen verloren haben, aber gerne wieder einmal sehen möchten. Denen Sie beistehen können, weil es ihnen gerade nicht gut geht.

Schenken Sie diesen Menschen Ihre Aufmerksamkeit mit einem Besuch, mit einem Anruf oder mit einer Grußkarte. Zeigen Sie ihnen, dass Sie an sie denken. Dass Sie gerne mit ihnen zusammen sind oder Ihnen ihr Wohlergehen am Herzen liegt. Vielleicht rufen Sie wie der Freund des einsamen Witwers, von dem ich Ihnen erzählt habe, Freude hervor. Gott und sein Engel Gabriel ermuntern Sie heute, an andere zu denken. Und ihnen mit einem Gruß, einem freundlichen Wort oder vielleicht sogar mit einem Besuch Freude zu bereiten.

Unser Witwer traf sich nach dem Fest mit seinem Freund. Für beide war es so, als ob sie sich nur ein paar Tage nicht gesehen hätten. Bevor sie nach Hause gingen, vereinbarten sie den nächsten gemeinsamen Termin.