Lesepredigt Christfest

Christfest 2021
Dr. Roland Liebenberg
Der andere Josef

Der Mann im Hintergrund

Heute, am ersten Weihnachtsfeiertag, kommt bei vielen von uns die Familie zum Essen zusammen. Deshalb stehen zumeist Frauen seit dem Morgen am Herd, um alles zuzubereiten. Wahrscheinlich haben sie gestern schon einiges vorbereitet für das heutige Festessen. In der heiligen Familie soll es sich anders verhalten haben. Josef kümmerte sich um das leibliche Wohl seiner Lieben. Und das nicht nur im Stall von Bethlehem.

Josef wird seit einiger Zeit neu bewertet. Bisher hielt er sich er sich in unserer Wahrnehmung zumeist im Hintergrund auf. In den bildlichen Darstellungen der Anbetung der Hirten oder der Anbetung der Könige ist Marias Gatte zumeist im Hintergrund postiert. Maria und das Kind sind dagegen im Zentrum. Den Anstoß zu dieser Rollenverteilung gab die Weihnachtsgeschichte des Lukas.

Auch dort spielt Josef nur eine Nebenrolle. Mit der schwangeren Maria begibt er sich nach Bethlehem. Dort will er sich für die Steuer schätzen zu lassen. Josef gehört dem Geschlecht König Davids an. Deshalb nimmt man an, dass Bethlehem seine Geburtsstadt war. Josef ist der Bezugspunkt für den Stammbaum Jesu. So war es möglich, die Weissagung des Propheten Micha, dass aus Bethlehem der erwartete König kommen soll, auf Jesus zu beziehen. Kurz wird Josef noch erwähnt, als die Hirten in den Stall stürzten. Danach tritt er in den Hintergrund und wird von Lukas kaum noch erwähnt.

Neubewertung des Josef

Josef, der Mann im Hintergrund. So war das bisher. Inzwischen wird diese Rollenverteilung aber kräftig hinterfragt. Manche Theologen sehen in Josef den eigentlichen Helden der Weihnachtsgeschichte. Er mag sich vielleicht nicht in den Vordergrund drängen. Doch seine Rolle ist viel bedeutender als man bisher annahm. Manche Interpreten erkennen ihn ihm sogar den „ersten modernen Mann“. Er soll ein Macher gewesen sein. Wenn es etwas zu erledigen gab, packte er es ohne langes Herumgerede an.

Josef hielt die Patchworkfamilie zusammen. Er wechselte die Windeln, besorgte und kochte das Essen. Er machte sich ständig Gedanken darüber, was die größer werdende Familie benötigt. Das hört sich beispielhaft an. Auch Männer unserer Zeit könnten noch von diesem Josef lernen, findet zum Beispiel die ehemalige Ratsvorsitzende Margot Käßmann. Ihrer Meinung nach könnte man Josef in der Krippenaufstellung ruhig ein bisschen mehr nach vorne stellen.

Wer war Josef von Nazareth?

Also stellen wir Josef nach vorne, um ihn besser kennenzulernen. Doch was wissen von ihm? Wer war Josef von Nazareth wirklich? Das fragten sich schon die frühen Christen. Allerdings waren sie weniger an der historischen Wahrheit interessiert. Sie wollten seine Besonderheit herausstellen. War er doch der Ehemann der Gottesmutter.

Im sogenannten „Kindheitsevangelium des Jakobus“ wird die Lebensgeschichte der Maria erzählt. Es handelt sich um eine Legendensammlung aus dem 2. Jahrhundert. Mit ihr begann die Verehrung Marias, die im Christentum bis heute anhält. Auch von Josef wird dort einiges erzählt. So soll er Witwer gewesen sein. Auf Geheiß der Priester ehelichte er die Tempeljungfrau Maria.

Die Priester hatten es sich bei der Auswahl nicht leicht gemacht. Jeder Bewerber musste einen Holzstab abgeben. Als Josefs Stab grüne Blätter trieb und eine Taube aus ihm hervorschlüpfte, wussten sie, dass Josef der Auserwählte war. Josef und Maria mussten auch das „Prüfungswasser Gottes“ trinken. So wurde der Verdacht, dass Maria eine Ehebrecherin war, endgültig ausgeräumt. Denn beide überlebten den giftigen Trank. Josef war also der passende Mann für Maria.

Zimmermann war er wahrscheinlich nicht. In den griechischen Texten wird er als „tekton“ bezeichnet. Die korrekte Übertragung für dieses griechische Wort lautet „Baumeister und Architekt“. Als solcher dürfte Josef wohl kaum arm gewesen sein. Im Gegenteil, er ermöglichte seiner Familie mit seinem Einkommen wahrscheinlich ein angenehmes Leben. Er bildete seine Söhne aus. Und für den Ältesten Jesus organisierte er zudem noch einen Studienplatz bei den Schriftgelehrten.

Im Lukasevangelium taucht er letztmals auf, als der zwölfjährige Jesus in Jerusalem ausbüxte. Sein Name wird nicht mehr erwähnt. Seine „Eltern“ wussten nicht, wo er sich befand, wird berichtet. Als sie ihn nach langer Suche im Tempel fanden, waren sie außer sich.

Zwischen diesem Ereignis und dem ersten öffentlichen Auftreten Jesu muss Josef wohl gestorben sein. Denn sonst hätte Jesus zur Hochzeit in Kanaa in Galiläa auch seinen Vater Josef mitgenommen. Wie seiner Mutter Maria hätte Jesus auch seinem Vater Josef einen Empfang mit allen Ehren gegönnt.

Mehr ist über Josef nicht herauszubekommen. Er dürfte tatsächlich mehr als nur der friedliche und gerechte Mann im Hintergrund gewesen sein. Er war der Vater der Familie. Mit seiner Frau hat er seinen Kindern die ersten Schritte beigebracht. Er hat sie im Lesen und Schreiben unterrichtet. Er zeigte ihnen die Welt und sorgte für ihre Ausbildung und ihr Auskommen.

Josefs Hoffnung

Für den Menschen Jesus sorgte Josef wie seine Ehefrau Maria so gut er konnte. Mehr können Eltern für ihre Kinder nicht tun. Der Weg, den sie danach einschlagen, liegt nicht mehr in ihrer Hand. Was ihnen bleibt, ist das Vertrauen, dass Gott ihren Weg begleitet und behütet. Dieses Vertrauen dürfen wir Josef getrost unterstellen.

Das tat auch der Verfasser des Jakobusevangeliums. Josef glaubte an seinen Sohn Jesus. Er glaubte daran, dass sich mit seiner Geburt alles veränderte. Dass mit Jesus Gott in diese Welt kam, um den Menschen, ja der gesamten Schöpfung Hoffnung zu schenken.

Im Jakobusevangelium führte Josef die schwangere Maria in eine Höhle. Dann machte er sich auf die Suche nach einer hebräischen Hebamme in der Gegend von Bethlehem. „Ich aber“, erzählt Josef in der Ichform, „ging umher und ging doch nicht umher. Und ich blickte hinauf zum Himmelsgewölbe. Und ich sah es stillstehen. Und ich blickte hinauf in die Luft und sah die Luft erstarrt und die Vögel des Himmels unbeweglich bleiben.

“ Der Himmel stand für Josef still, als der Herr auf die Welt kam. Mit eindrücklichen, ja poetischen Worten brachte er seinen Glauben an Gottes Ankunft zum Ausdruck. Die Welt war für Josef seitdem eine andere. An Weihnachten wurde sie verwandelt zu einem Ort der Hoffnung. Keine Macht im Himmel und auf Erden kann diese Hoffnung zerstören. Nicht einmal der Tod. Denn diese Hoffnung stiftete der Allmächtige. Das Himmelsgewölbe stand für einen Augenblick still. Die Luft war erstarrt. Die Vögel des Himmels blieben unbeweglich stehen. Gott kam auf die Welt und hat die Erde zu seinem Reich gemacht. Und bis der Allmächtige sein Reich vollendet, werden Menschen seines Wohlgefallens, Menschen wie Josef, die Erde heller und lebensfreundlicher machen