Lesepredigt Okuli

20.03.2022
Predigt zu 1 Kön 19,1-15
Pfr. Dr. Roland Liebenberg


Der sanfte Weg Gottes


Elias Rache

Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht im ersten Buch der Könige. Dort wird unter anderem der Kampf des Propheten Elia für den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs geschildert.

König Ahab und seine Frau Isebel beteten den Götzen Baal auf dem Berg Karmel an. Die Propheten des Herrn waren ihnen ein Dorn im Auge. Sie ließen sie verfolgen und umbringen. Elia aber ließ sich nicht einschüchtern. Er leistete Widerstand. Und er schlug zurück.

Er forderte 450 Baalspropheten zu einer Machtprobe auf dem Berg Karmel heraus. Elia demonstrierte dort den wahren und einzigen Gott. Er ließ es aber bei dieser Machdemonstration nicht bleiben. Elia nahm blutige Rache. Alle Baalspropheten ließ er gefangen nehmen und zum Bach Kischon hinabführen. Dort gab er den Befehl sie zu töten.

Elias Flucht

„Wer das Schwert in die Hand nimmt, wird durch das Schwert umkommen.“ Die Wahrheit dieses Wortes, das Jesus im Matthäusevangelium bei seiner Gefangennahme äußerte, erfuhr auch Elia. Im 19. Kapitel des ersten Buches der Könige wird weitererzählt:

Und Ahab sagte Isebel alles, was Elia getan hatte und wie er alle Propheten Baals mit dem Schwert umgebracht hatte. Da sandte Isebel einen Boten zu Elia und ließ ihm sagen: Die Götter sollen mir dies oder das tun, wenn ich nicht morgen um diese Zeit dir tue, wie du diesen getan hast!

Da fürchtete er sich, machte sich auf und lief um sein Leben und kam nach Beerscheba in Juda und ließ seinen Diener dort. Er aber ging in die Wüste eine Tagesreise weit und kam und setzte sich unter einen Ginster und wünschte zu sterben. Und sprach: Es ist genug, so nimm nun, Herr, meine Seele. Ich bin nicht besser als meine Väter. Und er legte sich hin und schlief unter dem Ginster. Und siehe, ein Engel rührte ihn an und sprach zu ihm: Steh auf und iss! Und er sah sich um, und siehe, zu seinen Häupten lag ein geröstetes Brot und ein Krug mit Wasser. Und als er gegessen und getrunken hatte, legte er sich wieder schlafen. Und der Engel des Herrn kam zum zweiten Mal wieder und rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir. Und er stand auf und aß und trank und ging durch die Kraft der Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Berg Gottes, dem Horeb.

Und er kam dort in eine Höhle und blieb dort über Nacht. Und siehe, das Wort des Herrn kam zu ihm: Was machts du hier, Elia? Er sprach: Ich habe geeifert für den Herrn, den Gott Zebaoth. Denn die Israeliten haben deinen Bund verlassen und deine Altäre zerbrochen und deine Propheten mit dem Schwert getötet. Und ich bin allein übrig geblieben. Und sie trachten danach, dass sie mir mein Leben nehmen. Und der Herr sprach: Geh heraus und tritt auf den Berg vor den Herrn!

Und siehe, der Herr ging vorüber. Und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, kam vor dem Herrn her. Der Herr war aber nicht im Wind. Nach dem Wind aber kam ein Erdbeben. Aber der Herr war nicht im Erdbeben. Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer. Aber der Herr war nicht im Feuer. Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen. Als Elia das hörte, verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel und ging hinaus und trat in den Eingang der Höhle.

Toxische Männlichkeit

Im Jahr 2008 erlegte der russische Machthaber Wladimir Putin in den sibirischen Wäldern einen riesigen Tiger mit einem Betäubungsgewehr. In der von ihm kontrollierten Presse wurde verbreitet, er habe mit dieser Heldentat einer Filmcrew das Leben gerettet.

Das war natürlich eine Lüge. Der erlegte Tiger war eine Warnung an den damaligen georgischen Präsidenten. In den russischen Medien erhielt der Tiger den Namen Michail Saakaschwili. Die russische Armee griff zur selben Zeit im fünftägigen Kaukasuskrieg Georgien an. Sie sicherte so die Fortexistenz der international nicht anerkannten Republiken Südossetien und Abchasien. Diese hatten sich mit Unterstützung Russlands von Georgien abgespalten. Als russische Panzer kurz vor der georgischen Hauptstadt Tiflis standen, drohte Putin gegenüber dem französischen Präsidenten: Er werde „Michail Saakaschwili an den Eiern aufhängen“.

Zwei Jahre zuvor wurde Putin in Moskau vom damaligen israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert besucht. Putin bat Olmert, Grüße an Präsident Mosche Katzav auszurichten. Katzav war zu diesem Zeitpunkt mit Vorwürfen der mehrfachen sexuellen Nötigung und Vergewaltigung konfrontiert. „Grüßen Sie Ihren Präsidenten“, sagte Putin zu Olmert. „Was für ein starker Kerl! Zehn Frauen hat er vergewaltigt. Wir alle beneiden ihn.“ Putin hatte nicht bemerkt, dass die Mikrofone der Presse noch eingeschaltet waren.

Für die Journalistin und Buchautorin Ute Scheub ist der sich gern in kraftstrotzender Pose zeigende russische Machthaber Putin ein Paradebeispiel für die sogenannte „toxische Männlichkeit“. In diesen Tagen ist das Begriffspaar „toxische Männlichkeit“ in aller Munde. Denn Männer wie Putin oder der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro oder der amerikanische Ex-Präsident Donald Trump, der sein Comeback vorbereitet, bestimmen derzeit das politische Geschehen in der Welt.

Was ist mit toxischer Männlichkeit gemeint? Das Eigenschaftswort „toxisch“ hat die Bedeutung giftig oder schädlich. Toxische Männer sind demnach Männer, die andere Menschen mit ihrem Verhalten gezielt schädigen. Eine Frau zu vergewaltigen oder einen männlichen Gegner umzubringen bzw. an den Eiern aufzuhängen finden sie in Ordnung, weil es angeblich ihre Männlichkeit beweist. Bei Putin, Bolsonaro oder Trump hat der von ihnen angerichtete Schaden eine globale Reichweite. Angesichts der ökologischen Überlebenskrise, in der wir uns befinden, bedrohen diese toxischen Männer den Fortbestand der menschlichen Zivilisation.

Was machst du hier, Elia?

Was hat Elia mit diesen toxischen Männern gemein? In den jüdischen Kommentaren zum Text wird Elias Verhalten seit dem Mittelalter kritisch bewertet. Fanatisch sei der Prophet Elia. Anstatt wie Mose für das Volk Israel um Vergebung der Sünden zu bitten, verweise er nur auf sich selbst als Verteidiger des Herrn. Elia sei nicht lernbereit. Er drehe sich nur um sich selbst.

Ich gebe zu, dass ich Elia so noch nicht wahrgenommen habe. Für mich war er bisher immer der tapfere Kämpfer für die Sache Gottes. Wie kein zweiter legte sich Elia für mich gegen die Götzen dieser Welt ins Zeug. In der jüdischen Gemeinde wird er seit Jahrhunderten anders beurteilt. Warum reichte Elia Gottes Machtdemonstration auf dem Berg Karmel nicht aus? Warum ließ er die Baalspropheten am Bach Kischon noch abschlachten? Diese Frage stellt sich auch unser Predigttext.

Zunächst werden die Folgen seiner Bluttat beschrieben. Elia musste fliehen. Seine Flucht endete in der Wüste unter einem Ginsterstrauch. Er war am Ende. Denn sein Kampf schien verloren. Der Prophet war überzeugt: Gott hat mich verlassen. Die Götzenanbeter werden siegen. Tatsächlich war das der Grund für seinen Todeswunsch. Doch Gott hatte ihn nicht verlassen. Ein Engel Gottes richtete Elia wieder auf. Denn Gott wollte seinem Propheten etwas klar machen. Also begab sich Elia auf den weiten Weg zum Berg Gottes. Horeb ist ein anderer Name für den Berg Sinai. Auf dem Berg vernahm Elia Gottes Wort: „Was machst du hier, Elia?“

Dass die Frage auf Elias Verhalten zielt, zeigt seine Antwort: Ich, ich allein habe für dich geeifert und gekämpft! Und wie dankst du es mir? Die Götzenanbeter trachten mir nach dem Leben. Elia kämpfte seinen eigenen fanatischen Kampf. Wenn es ihm möglich gewesen wäre, hätte er wohl alle Ungläubigen getötet. Diese Absicht verband er zwar nicht mit seiner Männlichkeit. Für ihn ging es wohl eher um sein Selbstverständnis als Prophet Gottes. Dennoch kam Elia mit dieser Schadensabsicht den toxischen Männern unserer Tage sehr nahe.

Gottes sanfter Widerspruch

Gott durchkreuzte Elias Schadensabsicht. Mit seiner Offenbarung am Berg teilte der Herr seinem Propheten mit: Mein Weg ist ein sanfter und friedfertiger Weg. Elias Weg hätte wie die Wege der toxischen Männer unserer Tage ins Verderben geführt. Im Unterschied zu Trump, Putin und all den anderen möchte ich Elia aber am Ende die Bereitschaft zur Umkehr zusprechen.

Gottes sanfter Widerspruch auf dem Berg Sinai beendete Elias Amtszeit als Prophet. Nach der Offenbarung als „stilles, sanftes Sausen“ erhielt Elia von Gott den Auftrag, Elisa an seiner statt zum Propheten zu salben. Elia gehorchte. Er überreichte Elisa seinen Prophetenmantel und salbte ihn. Nun war der ehemals eifernde Prophet Elia bereit für den sanften Weg Gottes.

Und das wünsche ich auch uns in dieser von toxischen Männern bestimmten Zeit. Gott möge uns mit seinem Geist auf seinen sanften Weg der Liebe und des Friedens weisen. Genauso wie er es mit unserem jüdischen Bruder und Herrn Jesus Christus getan hat.