Lesepredigt Palmsonntag

10. April 2022
Predigt zu Joh 17,1-8
Pfr. Dr. Roland Liebenberg

Gottes Herrlichkeit


Das Gebet Jesu

Der Predigttext für den heutigen Sonntag ist dem 17. Kapitel des Johannesevangeliums entnommen:
Jesus hob seine Augen auf zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist gekommen: Verherrliche deinen Sohn, auf dass der Sohn dich verherrliche; so wie du ihm Macht gegeben hast über alle Menschen, auf dass er ihnen alles gebe, was du ihm gegeben hat: das ewige Leben. Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, erkennen.

Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir gegeben hast, damit ich es tue. Und nun, Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war.

Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie waren dein, und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt. Nun wissen sie, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir kommt. Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen und wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sie glauben, dass du mich gesandt hast.

Feiern in diesen Zeiten?

Gestern feierten wir in der St. Bartholomäuskirche in Gustenfelden eine Hochzeit. Im November fragte mich das Ehepaar, ob es ein Problem sei, an diesem Termin eine kirchliche Trauung durchzuführen. Später erfuhr ich, dass ältere Familienmitglieder Bedenken wegen des gestrigen Termins hatten.

Der Grund für die Bedenken leuchtet ein: Es ist Passionszeit. Wir rufen uns in dieser Zeit die Leiden unseres Bruders und Herrn Jesus Christus in Erinnerung. Die Texte und Lieder, die wir in der Passionszeit lesen und singen, wollen uns bewusst machen: Jesus starb, um uns „von aller Schuld des Bösen zu erlösen“. Das werden wir heute zum Schluss des Gottesdienstes singend bekennen: An unserer Statt wurde Jesus „gemartert und zerschlagen“. Mache ich mir das bewusst, dann erbebt mein Herz. „Ich seh und ich empfinde den Fluch der Sünde“. So endet die dritte Strophe des Passionsliedes „Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken“. Und da wollt ihr ausgelassen feiern?

Wie das gestrige Brautpaar könnte man das auch die Gemeinden fragen, die heute am Palmsonntag das Konfirmationsfest feiern. Wäre es nicht sinnvoller damit bis nach Ostern zu warten? Die aktuellen Ereignisse geben dieser Sichtweise recht. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine wird immer brutaler und menschenverachtender. Die Welt um uns herum verdüstert sich. Und da wollt ihr ausgelassen feiern?

Jesu Bitte um Verherrlichung

Ja, wir wollen feiern. Wir wollen feiern trotz einer sich verdüsternden Welt. Wir wollen uns freuen und jubeln im Angesicht des Todes. Denn wir sind eine Gemeinde von Glaubenden. Wir sind erfüllt mit einer Hoffnung, die die düsterste Finsternis erhellen kann. Diese Einstellung wird meines Erachtens von unserem Predigttext gestützt.

Jesus befindet sich mit seinen Jüngern noch im selben Raum, in dem sie miteinander das letzte Mahl gefeiert haben. Die Aufforderung aufzubrechen, sprach er bereits aus. Allerdings hielt er danach noch eine Abschiedsrede. Und nach dieser Abschiedsrede folgt dann sein Gebet.

Es ist ein eigenartiges Gebet. Um ihn herum liegen seine Jünger und hören mit. Doch für ihre Ohren ist das Gebet nicht bestimmt. Es ist als wäre Jesus „anwesend und abwesend zugleich“.
Jesus führt ein Gespräch mit Gott, dem Vater. Es beginnt mit den Worten: „Vater, die Stunde ist gekommen: Verherrliche deinen Sohn, auf dass der Sohn dich verherrliche.“ Die Stunde seiner Hinrichtung ist gekommen und Jesus bittet um seine Verherrlichung.

Wer nur ahnt, welche Qualen die Folter am Kreuz beinhalten, tut sich schwer, diese menschliche Grausamkeit als Verherrlichung zu verstehen. „Es ist vollbracht“ lässt der Evangelist Johannes den Gekreuzigten sagen, bevor er stirbt. Der Schrei der Verzweiflung und Verlassenheit, der vom Kreuz her im Markusevangelium erklingt, ist uns da näher. Den qualvollen Jesu Schrei am Kreuz nehmen wir zusammen mit den qualvollen Schreien der Opfer menschlicher Bosheit wahr. Wir können ihn zusammenbringen mit unserem Leid. Dieser Kreuzesschrei ergreift Partei. Er ergreift Partei für die Opfer und kündigt den Tätern das Gericht Gottes für ihre Taten an. Wie abgehoben und lebensfern erscheinen da auf den ersten Blick die Worte des betenden und später gekreuzigten Herrn im Johannesevangelium. Ohne sie aber bleibt es am Ende beim Schrei der Verzweiflung. Ohne diese Worte bleibt es finster.

Gottes Lebensmacht

Nichts wird in dem Gebet Jesu beschönigt. Die Schmerzen und das Leid, die wir Menschen uns ohne Ende zufügen, bleiben Schmerzen und Leid. Die Finsternis des Leids und der Tod sind aber nicht das letzte Wort. In der Finsternis des Leids und über den Tod hinaus kommt Gottes herrliche Lebensmacht zum Zuge. Das will uns Jesu Gebet mitteilen.

Diese herrliche Lebensmacht war da, bevor die Welt da war. Und sie ist da, wenn diese Welt vergeht. Nichts, keine noch so monströse Bosheit kann sie zerstören. Das bekennt Jesus im Gebet mit seiner Bitte um Verherrlichung: „Und nun, Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war.“ Erst dann ist Jesu Weg ans Kreuz vollendet, wenn der Vater seinen zu Tode gefolterten Sohn der Macht des Todes entreißt. Wenn er ihn wieder in seine Herrlichkeit aufnimmt. Erst dann ist unser Weg durch die nun beginnende Karwoche vollendet, wenn wir in der Osternacht die neue Osterkerze anzünden und mit ihr Gottes herrliche Lebensmacht feiern.

Seine Bitte gilt uns!

Angesichts des bevorstehenden Todes hätte es Jesus eigentlich bei der Bitte um seine eigene Verherrlichung belassen können. Doch seine Bitte um Verherrlichung spricht er nicht für sich aus. Er spricht sie für uns aus. In der Stunde seines bevorstehenden Todes denkt Jesus an uns. An die Menschen, die sein Wort bewahren und an ihn glauben.

Bildlich kann man sich das wie eine mittelalterliche Himmelsleiter vorstellen, allerdings ohne Maria. Wir befinden uns als kleine Figuren am Boden des Bildes und blicken zu Jesus hinauf. Dieser nimmt das Zentrum des Bildes ein und blickt zum Vater hinauf. Und was tut er? Er bittet den Vater, auch uns in seine Herrlichkeit aufzunehmen. Er bittet den Vater, uns das ewige Leben zu geben.

Freude zu Beginn der Karwoche

Das haben wir gestern bei der kirchlichen Trauung in Gustenfelden gefeiert. Ein junges Ehepaar bekannte sich zu Gott und bedankte sich für das Geschenk der Liebe. Mit ihrem Trauspruch aus dem Hohenlied der Liebe bekannten die beiden Liebenden weiter: Gottes Liebe, die wir in unserem Leben verschenken und empfangen, wird nicht aufhören. Sie wird uns auch im Reich Gottes erfüllen. Denn Gottes Liebe hört niemals auf.

Auch das Ehepaar aus Gustenfelden feierte Gottes herrliche Lebensmacht. Ebenso wie das heute die Konfirmanden bei ihrer Konfirmationsfeier tun. Sie bekennen sich zum christlichen Glauben. Dabei ergreifen sie Jesu Hand und lassen sich von ihm auf den Weg in die Herrlichkeit Gottes weisen.

Wir haben also gute Gründe, zu Beginn der Karwoche froh zu sein wie die Menschen bei Jesu Einzug in Jerusalem. Denn unser Bruder und Herr setzt sich beim Vater für uns ein. Jesus will uns bei sich haben. Er will, dass auch wir mit ihm verherrlicht werden.