Lesepredigt Reminizere

13. März 2022
Predigt zu Mt 26,36-46
Pfr. Dr. Roland Liebenberg


Gottes Heilsentschluss


Im Garten Gethsemane

Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht bei Matthäus im 26. Kapitel:
Jesus kam mit seinen Jüngern zu einem Garten, der hieß Gethsemane, und sprach zu ihnen: Setzt euch hierher, solange ich dorthin gehe und bete. Und er nahm mit sich Petrus und die zwei Söhne des Zebedäus und fing an zu trauern und zu zagen. Da sprach Jesus zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis in den Tod; bleibt hier und wacht mit mir!

Und er ging ein wenig weiter, fiel nieder auf sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, ist´s möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst! Und er kam zu seinen Jüngern und fand sie schlafend und sprach zu Petrus: Konnte ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen? Wachet und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt! Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach.

Zum zweiten Mal ging er wieder hin, betete und sprach: Mein Vater ist´s nicht möglich, dass dieser Kelch vorübergehe, ohne dass ich ihn trinke, so geschehe dein Wille! Und er kam und fand sie abermals schlafend, und ihre Augen waren voller Schlaf. Und er ließ sie und ging wieder hin und betete zum dritten Mal und redete abermals dieselben Worte.

Dann kam er zu den Jüngern und sprach zu ihnen: Ach, wollt ihr weiter schlafen und ruhen? Siehe, die Stunde ist da, dass der Menschensohn in die Hände der Sünder überantwortet wird. Steht auf, lasst uns gehen! Siehe, er ist da, der mich verrät.


Eine vertraute Erzählung

Uns allen ist die Erzählung vom Gebet Jesu im Garten Gethsemane bekannt, liebe Gemeinde. Sie ist zu einem Kulturgut des christlichen Abendlandes geworden. An vielen spätmittelalterlichen Kirchen wie in Schwabach oder Regelsbach erinnert die sogenannte Ölberggruppe an diese Erzählung. Ölberg deshalb, weil das Wort „Gethsemani“ Ölpresse bedeutet. Der Garten war bepflanzt mit Olivenbäumen. Er war eine Plantage und diente der Produktion von Olivenöl.

Jesus wird in der Ölberggruppe in der Regel knieend dargestellt. Hinter ihm befinden sich die drei schlafenden Jünger. Oft wird Jesus noch ein Kelch gereicht. Entweder nur mit einer aus der Himmelswolke reichenden Hand oder durch einen Engel. Bei der Vorbereitung dieser Predigt wurde mir bewusst: Da stimmt was nicht.

Eine süße Botschaft?

So beindruckend die Darstellungen in künstlerischer Hinsicht sind, die wichtigste Botschaft der Erzählung kommt meist zu kurz. Das wurde mir klar, als ich auf die großartige Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach hingewiesen wurde. Dort bekennt die Bass-Stimme in einem anmutigen g-Moll: „Gerne will ich mich bequemen, Kreuz und Becher anzunehmen, trink ich doch dem Heiland nach. Denn sein Mund, der mit Milch und Honig fließet, hat den Grund und des Leidens herbe Schmach durch den ersten Trunk versüßet.“

Das hört sich wunderbar und leicht an. Der Kelch des Leids wird zu einem süßen Trank. Eine ähnliche Wirkung erzielt das großartige Altarbild des „Münchener Malerfürsten“ Friedrich August von Kaulbach in Gustenfelden. Man sieht dem betenden und mit den Tränen ringenden Jesus zwar den inneren Kampf an. Doch zugleich ist ihm ein wunderschöner Engel ganz nah. Er hat das Aussehen einer Frau. Wie eine Geliebte nähert sich der Engel dem Angefochtenen. Sie reicht ihm zwar mit der rechten Hand den Kelch. Mit der linken Hand jedoch umarmt sie ihn, um ihn zu trösten und aufzurichten. Als teilte auch sie ihm mit: Fürchte dich nicht, der Trank des Kelchs ist süß und köstlich.

Widerstand gegen den Entschluss Gottes

In der abendländischen Kunst wurde das, worum es im Garten Gethsemane geht, oft entschärft, ja zum Teil verniedlicht. Worum geht es auf dem Ölberg? Es geht um den Widerstand gegen den Entschluss Gottes, dass der Weg des Heils in das Leid führt.

Selbst Jesus Christus, der Menschensohn, hadert mit diesem Entschluss. Seine „Seele ist betrübt bis in den Tod“. Er fällt erschüttert auf sein Angesicht und betet, nein bettelt um einen anderen Weg: „Mein Vater, ist´s möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber.“ Jesus ist allein mit seiner Angst, mit seiner Erschütterung und Anfechtung. Niemand steht ihm bei. Seine Freunde schlafen. Bei Matthäus erscheint kein Engel. Und Gott schweigt. Wie am Kreuz klagt Jesus auch im Garten Gethsemane über seine Gottverlassenheit.

Er unterwirft sich zwar schließlich dem stummen Willen Gottes. Doch selbst jetzt noch hofft er, dass der Kelch an ihm vorübergehen könnte. „Ihm das abzusprechen“, schreibt der Philosoph Hans Blumenberg in seiner Auslegung der Matthäuspassion Johann Sebastian Bachs, „hieße den ganzen Ansturm des Niederfalls vor dem Vater zur bloßen erbaulichen Phrase zu machen.“

Die Zumutung Gottes

Matthäus will uns mit seiner Gethsemaneerzählung nicht erbauen. Er will uns die Zumutung von Gottes Heilsentschluss vor Augen führen. Gott lässt das Böse und mit ihm das Leid weiter zu. Daran ändert auch das Kommen des Menschensohnes nichts. Die Römer werden Jesus trotz seiner Unschuld brutal kreuzigen. Die nach Ostern entstehenden christlichen Gemeinden werden ebenfalls den Hass und die Gewalt der römischen Kaiser zu spüren bekommen.

Ab dem 4. Jahrhundert werden es dann die Christen selbst sein, die Abweichler oder Andersgläubige, vor allem Angehörige der jüdischen Gemeinden brutal verfolgen und unterdrücken. Die Bosheit des Menschen wird sich weiter austoben. Die Geschichte der Menschheit kann man mit dem Philosophen Karl Löwith auch als den Abstand von einem Leichenberg zum anderen verstehen. Ein neuer Leichenberg wird gerade in der Ukraine errichtet.

Der allmächtige Gott, der Vater Jesu Christi lässt das Böse weiter zu. Das ist die empörende Zumutung seines Heilsentschlusses. Hieran ist nichts zu beschönigen. Keine noch so wundervolle Musik, kein noch so schöner Engel kann diese Zumutung versüßen.

Was allein zählt

Und es ist nichts daran zu ändern. „Nicht, wie ich will, sondern wie du willst“, bekennt der angefochtene Jesus im Garten Gethsemane. Gottes Wille geschehe, auch wenn sich die Bosheit des Menschen weiter austoben darf.

Was wir uns wünschen, was wir wollen, spielt keine Rolle. Alles was zählt, ist Gottes Wille. Wenn ich aufwachen, aufstehen und mit Jesus aus dem Garten Gethsemane gehen will, muss Gottes Wille mein Wille werden: Nicht was ich will, sondern allein was Gott will, ist von Belang.

Auf dem Weg mit Jesus

Sind wir bereit aufzuwachen, aufzustehen und mit Jesus aus dem Garten Gethsemane zu gehen? Sollte das der Fall sein, sollten wir uns mit unserem Bruder und Herrn auf den Weg begeben, dann führt unser Weg zum Kreuz. Konkret heißt das: Er führt dorthin, wo Menschen unter der Bosheit der Menschen leiden. Das kann bei uns zu Hause, in der Nachbarschaft oder in einem der vielen Flüchtlingslager dieser Welt sein.

Wenn wir uns dorthin begeben, um zu helfen, dürfen wir aber eines nicht vergessen: Unser Weg mit Jesus führt zwar zum Kreuz. Doch endet er nicht am Kreuz. Denn Gott will unser Heil. Gott hat sich entschieden, auf Karfreitag den Ostersonntag folgen zu lassen. Daher gibt es immer Hoffnung. Uns erwartet eine Welt, in der „kein Leid mehr ist und kein Geschrei“. Mag die Bosheit des Menschen bis dahin noch so toben. Gott will es so. Das allein zählt. Bis dahin wird es uns freilich immer wieder so ergehen, wie unserem Bruder und Herrn im Garten Gethsemane.

Für solche Phasen der Anfechtung und Gottverlorenheit hat mich der Buchautor und Mystiker Jörg Zink in seinem Buch „Dornen können Rosen tragen“ auf eine Stelle im Buch Jesus Sirach hingewiesen. Sie lautet:

„Wenn du Gott dienen willst, dann mache dein Herz bereit auf die Stunde, in der du meinst, du habest Gott verloren. Mache dein Herz fest und habe einen langen Atem. Verzweifle nicht zu schnell, wenn du dich verstoßen glaubst. Halte dich fest an Gott und lass ihn nicht los, damit du am Ende immer fester stehst.“ (Sir 2,1-3)