Lesepredigt Kantate 2020

10. Mai 2020
Predigt zu 2 Chronik 5,2-5.12-14
Pfr. Dr. Roland Liebenberg


Lobgesang mit Mundschutz


Einweihung des Tempels

Der diesjährige Predigttext für den Sonntag Kantate ist dem zweiten Buch der Chroniken entnommen. Dort wird im 5. Kapitel zur Einweihung des Tempes folgendes erzählt:
Salomo versammelte alle Ältesten Israels, alle Häupter der Stämme und die Fürsten der Sippen Israels in Jerusalem, damit sie die Lade des Bundes des Herrn hinaufbrächten aus der Stadt Davids, das ist Zion. Und es versammelten sich beim König alle Männer Israels zum Fest, das im siebenten Monat ist. Und es kamen alle Ältesten Israels, und die Leviten hoben die Lade auf und brachten sie hinauf samt der Stiftshütte und allem heiligen Gerät, das in der Stiftshütte war. Es brachten sie hinauf die Priester und Leviten. Und alle Leviten, die Sänger waren, nämlich Asaf, Heman und Jedutun und ihre Söhne und Brüder, angetan mit feiner Leinwand, standen östlich vom Altar mit Zimbeln, Psaltern und Harfen und bei ihnen hundertzwanzig Priester, die mit Trompeten bliesen. Und es war, als wäre es einer, der trompetete und sänge, als hörte man eine Stimme loben und danken dem Herrn. Und als sich die Stimme der Trompeten, Zimbeln und Saitenspiele erhob und man den Herrn lobte: „Er ist gütig, und seine Barmherzigkeit währt ewig“, da wurde das Haus erfüllt mit einer Wolke, als das Haus des Herrn, sodass die Priester nicht zum Dienst hinzutreten konnten wegen der Wolke. Denn die Herrlichkeit des Herrn erfüllte den Raum.

Sonntag der Musik

König Salomo feiert mit dem Volk Israel die Einweihung des ersten Tempels, liebe Gemeinde. Viele Menschen haben sich in Jerusalem versammelt. Es wird auch das Laubhüttenfest nach der eingebrachten Ernte im „siebenten Monat“ gefeiert. In unserem Kalender fällt sein Beginn auf Ende September bis Anfang Oktober. Die Heilige Lade und das gesamte Wüstenheiligtum, das Zeit der Begegnung, in der Lutherübersetzung „Stiftshütte“ genannt, mitsamt den Heiligen Geräten werden in den Tempel gebracht.
Das Allerheiligste im neuen heiligen Tempel, wer würde da nicht ein Loblied singen? Im Predigttext stimmt ein großer Männerchor aus Leviten, unterstützt von 120 Trompetenbläsern, allesamt Priester, sowie Zimbelklang und Saitenspiel einen überwältigenden Lobgesang an. Ich stelle mir vor, dass alle Anwesenden von der harmonisch klingenden Musik mitgerissen werden und miteinstimmen.
Kein Zweifel, der Text passt zum vierten Sonntag nach Ostern. Sein Name verdankt sich dem Anfangsvers von Psalm 98: „Singet (lateinisch Kantate) dem Herrn ein neues Lied!“ Der Sonntag Kantate ist im Kirchenjahr der Sonntag der Musik. In den Gottesdiensten erklingen neben der Orgelmusik in der Regel auch die Instrumente der Posaunenchöre.

Singen mit Mund- und Nasenschutz?

Singet dem Herrn ein neues Lied. Ja, das würden wir gerne tun. Denn wir dürfen uns wieder versammeln in unseren Kirchen und Gottesdienste feiern. Doch die damit verbundenen Einschränken dämpfen die Begeisterung doch sehr. Unser Posaunenchor muss draußen bleiben. Der auf wenige Liedverse begrenzte Gesang darf nur mit Mund- und Nasenschutz geschehen. Singen macht so nur wenig Spaß. Einige Kirchenvorstände, etwa jene in Rohr und Barthelmesaurach, verzichten daher auf die Feier des Gottesdienstes. Sie weichen weiter auf den Online-Gottesdienst aus. Ich kann das gut nachvollziehen. Zumal wenn ich mir die imposante Szenerie im Jerusalemer Tempel bei seiner Einweihung vorstelle. Scheint sie doch zu unterstreichen: Zu einem Gottesdienst gehört der ungebremste Lobgesang. Je vielstimmiger und imposanter er ist, umso besser.
Und doch geht es bei einem Gottesdienst nicht nur um das Singen. Auch das kann der Szenerie im Jerusalemer Tempel entnommen werden. Salomo und die anderen Tempelbesucher singen nicht, weil ihnen einfach danach ist. Sie stimmen ihren Lobgesang an, weil Gott gütig ist und seine Barmherzigkeit ewig währt. Es ist die Botschaft vom gütigen und barmherzigen Gott, die ihre Herzen überquellen lässt vor Freude, die sie zum Singen und Musizieren antreibt. Im Zentrum des Gottesdienstes steht die frohe Botschaft vom gütigen und barmherzigen Gott. Gott selbst weist in unserem Predigttext auf diese Rangfolge hin. Denn erst als die
Tempelgemeinde den Herrn lobt und singt: „Er ist gütig, und seine Barmherzigkeit währt ewig“, füllt sich das Gotteshaus mit der „Herrlichkeit des Herrn“. Deshalb ist es kein Beinbruch, wenn Sie mit Ihrem Mund- und Nasenschutz nicht singen wollen oder können. Sie feiern dennoch einen Gottesdienst. Denn Sie vernehmen heute von der Jerusalemer Tempelgemeinde: Gott ist gütig, und seine Barmherzigkeit währt ewig!

Strafgericht Gottes?

Angesichts des Ausmaßes und der Folgen der Corona-Pandemie tun sich viele Christinnen und Christen schwer mit dieser Botschaft. Sie glauben: Es findet derzeit ein Strafgericht Gottes statt. Führende Vertreter der beiden großen Kirchen in Deutschland haben das entschieden zurückgewiesen. Jesus, so Heinrich Bedford Strohm, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, stehe für das Leben und Gott sei ein Gott des Lebens. Für Heiner Wilmer, dem katholischen Bischof von Hildesheim, ist die Rede von einem strafenden Gott aufgrund menschlichen Fehlverhaltens „fürchterlich und auch vollkommen unchristlich“.
Ganz so eindeutig stellt sich mir die Sache nicht dar. Gott reagiert auf unser Handeln. Davon weiß die Bibel zu berichten. Erinnert sei zum Beispiel an das Schicksal von König Saul, Salomos Vorvorgänger. Als dieser den Bann an den Amalekitern nicht vollständig vollzog und König Agag, die besten Schafe, Rinder und das Mastvieh am Leben ließ, verwarf ihn der Herr. Saul verfiel dem Wahnsinn und brachte sich nach einer  verlorenen Schlacht gegen die Philister um.
Gottes Reaktion auf unser Verhalten kann auch zornig, unnachgiebig oder gewalttätig ausfallen. Der lebendige Gott der biblischen Schriften hat auch fragwürdige, irritierende und dunkle Seiten. Gott ist eben Gott. Der Allmächtige macht seine Reaktion auf unser Handeln nicht davon abhängig, ob damit unser Gottesbild bestätigt wird oder nicht.

Gesang des Lebens

Erst wenn wir uns das klar machen, können wir die Freude über Gottes Güte und Barmherzigkeit wirklich nachvollziehen. Gott könnte auch ganz anders auf unser unverantwortliches Handeln reagieren. Gott könnte uns bestrafen, wie er das zu Noahs Zeiten tat. Doch der lebendige Gott wählte einen anderen Weg. Er wählte den Weg der bedingungslosen Liebe zu seinen Geschöpfen. Das wird im Jerusalemer Tempel gefeiert.
Und diesen Weg bietet der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Vater Jesu Christi auch uns an. Gott lädt uns ein, umzukehren von unserem Weg der Selbstzerstörung. Gott lädt uns ein, endlich Ernst zu machen mit der Liebe zu unserer Mitwelt. Gott lädt uns ein, einzustimmen in den Gesang des Lebens um uns herum. Das können wir wie die Jerusalemer Tempelgemeinde imposant mit Stimmen und Musikinstrumenten oder still und versunken mit den Herzen tun, ganz gleich, ob wir nun einen Mund- und Nasenschutz tragen oder nicht.


Singt dem Herrn ein neues Lied!